Schlagwort-Archive: erziehung

Frühförderung – Sinn oder Unsinn?!

Auf ZDF info gab’s heute eine sehr interessante Dokumentation: Kinder auf der Überholspur – Bildung um jeden Preis?

Mit kurzen Interviews mit Jesper Juul, Gerald Hüther und Bernhard Bueb.

 

EDIT: Ein Kommentar zur Dokumentation von Mathias Voelchertfamilylab.de:

Kommentar zum ZDF-Film Kinder auf der Überholspur – ZDF.de

Was die Mutter/Familie im Film »Kinder auf der Überholspur« macht, ist keine Blaupause, die auf viele übertragen werden soll/kann. Es ist das, was diese Mutter/Familie mit ihren Kindern, zu diesem Zeitpunkt, versucht. Es ist nicht DAS Richtige oder DAS Falsche – nicht (oder nur teilweise) übertragbar auf andere! So macht es diese Familie und sicher wird es in 6 Monaten anders aussehen. Genau so sind Familien/Beziehungen = ständig im Wandel. Was andere tun, ist immer nur bedingt auf unsere eigene Familie/Beziehung übertragbar. Es fordert jeden von uns heraus, persönliche Entscheidungen zu treffen, und diese nach dem Ausprobieren wieder zu korrigieren (oder beizubehalten).
Das ist viel komplizierter als früher. Damals waren sich fast alle einig was im Miteinander richtig und was falsch ist. Nachweislich war vieles von einer Gehorsamskultur geprägt, die keinen Widerspruch duldet, das verschaffte dem Einzelnen Sicherheit, weil er/sie es so macht wie alle anderen. Heute versuchen wir ein neues, gleichwürdigeres Miteinander, natürlich führt das zu Unsicherheiten, weil es viele unterschiedliche Meinungen gibt. Es braucht konstruktive Unsicherheit und Mut, wenn man einen neuen Weg im Miteinander beschreitet, auch um für sich selbst zu reflektieren ob das, was grade passiert, zu unserem Wohl ist.

Kollektive Erziehung

Dazu fragt sich Cathrin Kahlweit in ihrem Artikel „Hör mal Freundchen!“ aus dem Süddeutsche Zeitung Magazin: Als Ausstehender Grenzen setzen. Darf man das?

Bis zur Entstehung der bürgerlichen Familie war ein Kind selten einzig einer Mutter, einem Vater, einer Kindergartentante ausgesetzt, sondern im Zweifel einer Großfamilie oder gleich dem ganzen Dorf. Im 19. und 20. Jahrhundert delegierte, wer es sich leisten konnte, die Erziehung an mehr oder minder gut ausgebildetes Personal.

… Und heute…

Was wäre, wenn das eigene Kind sich schlecht benimmt und von einem Fremden zurechtgewiesen wird? »Kritik an meinen Kindern ist immer auch Kritik an mir. Da dringt jemand in mein Terrain ein und will mir im Zweifel mitteilen, dass ich versagt habe. Denn wenn sich mein Kind schlecht benimmt, bin doch letztlich ich verantwortlich«, sagt Simone, 60, Mutter von zwei erwachsenen Töchtern. Susanne, 45, Mutter eines Sohnes, ergänzt: »Wer meine Kinder zurechtweist, weiß oft gar nicht, warum sie sich so verhalten. Vielleicht sind sie überfordert? Gestresst? Müde?« Und Eva, 48, Mutter einer Tochter, wendet ein: »Wenn meine Mutter meine Kinder erziehen will, gibt sie mir zu verstehen, dass ich eine schlechte Mutter bin. Wenn meine Freunde das tun, dann greifen sie meine Kompetenz an; das verunsichert mich. Und wenn Fremde sich einmischen, im Supermarkt oder auf der Straße, dann bekommen sie es mit mir zu tun: Was bilden die sich ein?« Übereinstimmendes Nicken. Wie die dazugehörigen Väter das sähen, fragt eine in die Runde. Genauso: mein Haus, mein Auto, mein Kind, mein Stolz.

Was meint Ihr? Dürfen sich andere einmischen und ihre Meinung kundtun?

Ich bin gespannt, was Ihr darüber denkt.

Wie verwöhnt man Kinder? – Eine Mail von Herbert Renz-Polster

Heute bekam ich eine Mail von Herbert Renz-Polster, die ich gerne einfach unkommentiert an alle Interessierten weitergeben möchte:

Noch immer schlägt so manche Welle aus den USA sofort bei uns auf. So die Diskussion um „Verwöhnung“, ausgelöst vom Time Magazine.

Der deutsche „Focus“ schiebt gleich einen Artikel hinterher: „An der Nabelschnur durchs Leben gezogen“.

Darin wird der bindungsorientierte Erziehungsstil als „Überbehütung“ beschrieben und vor „militanten Kuschelmamas“ gewarnt, die ihren Kindern den Weg in die Selbstständigkeit versperren.
In der Diskussion treten immer wieder Missverständnisse der kindlichen Entwicklung zutage. Was brauchen Kinder, um mit sich und der Welt klar zu kommen? Wie schaffen sie es, selbstständig zu werden? Ich glaube, dass die Diskussion von einem breiteren Blick profitieren wird und habe deshalb einen Artikel zusammengestellt, der das Reiz-Thema Verwöhnung aus Sicht der evolutionären Verhaltensforschung beleuchtet:

Wie verwöhnt man Kinder?

Sie können den Artikel gerne weiterleiten, auf Ihre Webseite stellen oder sonstwie verwenden.

Herzlicher Gruß, lassen Sie sich von den Sommertagen verwöhnen, Ihr

Herbert Renz-Polster

Ein Abend mit Monique Reiter

… von Tragzeit im Rosinchen in Berlin-Karow.
Recht kurzfristig hatte ich diese Veranstaltung ich bei facebook entdeckt und mich auf den Weg gemacht:

… Über Monique Reiter bin ich schon hin und wieder im www gestolpert, wenn meine Surfwelle gerade über Tragen oder Stillberatung lief. So war ich überrascht, dass sie auch Vorträge / Themenabende zum Thema Erziehung und Eltern-Kind-Bindung anbietet.

Mein Herz freute sich, dass sie „Jesper Juuls Theorien“ sehr lebendig und mit vielen bildhaften Beispielen näher brachte.
Wir waren eine schöne Runde. Es wurde viel gelacht und Steffi umsorgte alle Gäste mit leckeren Getränken, Sandwiches, Waffeln und Eis.

Wer es also nicht zu Juul schafft und sich generell viel mehr Praxisbezug und Anregungen für den eigenen Alltag mit seinen Kindern wünscht, der sollte Augen und Ohren nach Monique aus Biesenthal offen halten.

Ebenso ist natürlich auch „Das Rosinchen“ zu empfehlen – ein Eltern-Kind-Café mit leckerer kleiner Speise- und Getränkekarte und einem Spielbereich für die Kinder sowie Stillraum mit Wickelbereich.

Elternparanoia und Naturdefizit

… darüber handelt der bei Spiegel Online zu findende Artikel „Kindererziehung: Ein Recht auf Schrammen“ von Gehirn&Geist-Autorin Verena Ahne.

Sehr lesenswert!

Meine persönliche Take-Home-Message ist der letzte Satz:

Zum Wohl unserer Kinder lasst uns hin und wieder üben, nicht einzugreifen: einmal tief durchatmen, Augen zu – und durch.

Was gar nicht so einfach ist… einfach machen lassen, nicht kommentieren, und oft gar nicht erst beobachten – sie werden sich schon melden, wenn sie unsere Unterstützung brauchen…

Siehe auch:
Frühlingsanfang
Summertime…

Jakob Augstein im Gespräch mit Jesper Juul

In der Gesprächsreihe „Freitag Salon“ sprach Jakob Augstein (selbst Vater von drei Kindern) am 4. März 2012 mit Jesper Juul über: Abenteuer Familie – Beziehung statt Erziehung! Wie schon am 29. Februar 2012 war auch diese Veranstaltung ausverkauft.

Für alle, die nicht dabei sein konnten, hier ist das Gespräch gekürzt im „Freitag“:

Der Himmel für ein Kind

Meine persönliche Lieblingsaussage von Juul in diesem Gespräch – wenn auch nicht von Augstein schriftlich festgehalten – war:

Man kann nicht alles richtig machen. Man kann nur seine Kinder lieben. Lieben und geliebt sowie beliebt zu sein ist ein Stück zu weit.

Parenting Card: Versuchs mal mit Flüstern

Whispering

„Versuch es mit Flüstern, wenn deine Worte nicht gehört werden“

Flüstern??? Bitte komm jetzt! Bitte lass uns jetzt gehen! Lass das bitte! – Das soll funktionieren?

Nein, es „funktioniert“ nicht, denn wie ich schonmal ausführlich ausgeführt habe, Attachment Parenting funktioniert nicht. Aber es ist eine Möglichkeit, die ihr versuchen könnt. Flüstern und Warten können sehr effektiv sein. Nicht drohendes Flüstern und genervtes Warten. Sondern freundliches Flüstern und entspanntes Warten.

Kind will sich nicht anziehen?
Bitte, wir müssen gleich los, ich schaffe es jetzt nicht, euch beide fertig zu machen…“ und dann rausgehen, etwas ganz anderes machen und der Versuchung widerstehen, doch noch mal zu kontrollieren, ob sich das Kind auch wirklich anzieht. In 80% der Fälle klappt das bei uns. Erst ist es lange still und dann plötzlich steht er stolz und angezogen vor uns. Grinst. Ich grinse. Alles gut.

Aber da ist noch mehr. Flüstern ist nach meiner Erfahrung häufig einfach eine Frage der Fairness und Höflichkeit. Ich bin z.B.  immer wieder in der Situation, dass ich dem Großen etwas sagen möchte, das ihn vor anderen aber bloßstellen würde.

Beispiel heute: Seine Spielplatzfreundin sucht einen Eisplastiklöffel. Ich weiß, dass er ihn in der Hosentasche hat. Er hat sie offensichtlich nicht gefragt. Was mache ich jetzt? Viel zu oft höre ich in solchen Situationen: „KINDNAME, du hast doch den Löffel, gib den jetzt SOFORT heraus! KINDNAME! Sonst hol ich ihn aus deiner Tasche! Los! Hör auf zu Heulen, ich habe gesagt…“ etc.

Solche Dinge laut zu sagen, stellt das Kind vor anderen bloß. Das ist superpeinlich. Das tut weh. Das verletzt die Beziehung.

Also habe ich geflüstert, so dass es keiner hören konnte: „Du, ich glaube, du hast den Löffel in der Tasche, oder?“ Er überlegt. Schaut mich an. Ich lächle und wühle weiter im Sand. Schaue ihn nochmal an. Lege den Kopf schief. Er nickt. Ich hatte ihn nicht bloßgestellt und er hat es sofort gemerkt und schwups waren wir nicht Gegner, sondern Komplizen, er war ehrlich, weil er wußte, ich bin bei ihm. Ich flüsterte: „Okay, das ist jetzt doof, weil sie weint und ihn wiederhaben will. Ich kann dir auch so einen besorgen, die gibt es an jeder Eisdiele. Ist das okay?“ Er überlegt einen Moment. Und nickt dann. „Okay, wenn keiner guckt, leg ihn hier in den Sand und ich geb ihn ihr wieder.“ Und so haben wir es gemacht. Er hat den Löffel in einem unbeobachteten Moment in den Sand gelegt, ich habe ihn genommen und „guck mal, hier ist er gerufen“ und der Mama seiner Freundin in die Hand gedrückt. Sie hat etwas erstaunt geschaut, aber das Mädchen hörte auf zu weinen, alles war gut. Mein Sohn war nicht sauer, dass er seinen Schatz rausrücken musste, wir haben auf dem Weg nach Hause noch Ersatz besorgt. Kein Thema.

Flüstern. Ich hab mal wieder lange gebraucht, bis ich es kapiert hatte. Ich übe jeden Tag. Manchmal bin ich auch richtig laut. Aber jedesmal, wenn ich im richtigen Moment flüstere, hat es erstaunliche, ungeahnte, meist schöne Effekte. Es ist keine „Geheimwaffe“, um elterlichen Willen durchzusetzen. Aber für mich ist es einer von vielen schönen Wegen, gemeinsam ans Ziel zu kommen.

Euch allen ein schönes Wochenende!

Jesper Juul – "Wütende Kinder"

Am 29. Februar 2012 hielt Jesper Juul, der dänische Lehrer, Gruppen- /Familientherapeut, Konfliktberater und Buchautor, im Herzen von Berlin vor ausverkaufter Kulisse des Kinos Babylon seinen Vortrag:

Aggression – Ein neues und gefährliches Tabu

Folgende Abfassung beruht auf meinen Notizen und meiner Erinnerung…
(Zitatblöcke stellen seine Vortragsfolien dar.)

Jesper Juul – "Wütende Kinder" weiterlesen

Warum Körperkontakt so wichtig ist und wie die Natur uns hilft…

Körpernähe ist für alle kleinen Erdenbürger dieser Welt wichtig, egal ob gestillt oder nicht-gestillt.

Herbert Renz-Polster gibt dazu in seinem neuesten Buch Menschenkinder – Plädoyer für eine artgerechte Erziehung einen kurzen Überblick (S. 23-24) zum großen WARUM:

  • Früher Hautkontakt hilft den Babys bei der Anpassung ihres Stoffwechsels, Atmung, Kreislauf und Körpertemperatur und unterstützt das Stillen nach der Geburt.
  • Frühgeborene wachsen schneller und entwickeln ein stärkeres Immunsystem.
  • Regelmäßig getragene Babys sind ausgeglichener und weinen insgesamt weniger.
  • Entwicklung von Urvertrauen (=Bindungssicherheit).
  • Mütter leiden seltener an Wochenbett-Depressionen.
  • Tragekindermütter gehen schon nach wenigen Monaten sensibler mit ihren Säuglingen um als nicht-tragende.

Körperkontakt hilft Eltern und Kinder sich früh kennenzulernen und „ohne großen Aufwand feinfühlig und niederschwellig miteinander zu kommunizieren“.

Und die Natur hilft nach.

Mit Hormonen wie Oxytocin, Vasopressin und Prolaktin unterstützt uns die Natur bei der Elternliebe und dem (Ur)Vertrauen.

Hier ist ein sehr schönes Video (gefunden in der 3sat-Mediathek): Ursprung der Mutterliebe mit einem Kommentar von Sarah Blaffer Hrdy.
Wie im Video erwähnt, brauchen wir wie Elefanten und Affen die Gemeinschaft um unseren kostspieligen Nachwuchs aufzuziehen. Doch das ist ein neuer Blogeintrag wert… 😉