Eine Frau teilte in diesen Tagen auf Facebook, dass Sie beim Jugendamt zur Beratung war – und „verhöhnt“ wurde.
Situation: Sie stillt ihren zweijährigen Sohn noch und er schläft bei den Eltern im Bett. Die Dame vom Jugendamt erklärte, die Mutter würde dem Kind mit dem langen Stillen schaden, und „dass die WHO, die ja Stillen bis 4 Jahre empfiehlt, das nicht so genau wissen könne.“
Die Mutter wand sich an uns – und an mich – mit der Frage: Ist Stillen über die ersten 6 oder 12 Monate hinaus wirklich schädlich?
Ich habe mal spontan Suchen rund um folgende Stichworte durchgeführt: „prolonged breastfeeding negative effects“, „continued breastfeeding“ „negative effects“ sowie „prolonged/continued breastfeeding infant mental health“.
Ich habe zumindest online auch bei einer gezielten Suche keine Studie gefunden, die belegt, dass langes Stillen schädlich sei – und zwar weder für das Kind noch für die Mutter noch für die Paarbeziehung.
Die in den Medien am meisten aufgegriffene Studie zum Langzeitstillen ist eine cluster-randomisierte Studie (bei der statt Individuen Vergleichsgruppen per Zufall zugeordnet werden) von Michael S. Kramer und Kollegen, veröffentlicht 2008. Sie wurde in 31 weißrussischen Kliniken und angeschlossenen Polikliniken durchgeführt und beinhaltete 17046 gesunde, stillende Kinder, von denen 13889 Kinder 6,5 Jahre später noch einmal untersucht wurden.
Das erste Ergebnis: die Studie führte in der Gruppe dazu, dass mehr Kinder mit drei Monaten voll gestillt wurden und ingesamt die Kinder häufiger bis zu 12 Monaten gestillt wurden. Nach Auswertung aller Tests zeigte sich, dass die Studien-Gruppe höhere IQ-Werte hatte als die Vergleichsgruppe – die Kinder waren also mit 6,5 Jahren kognitiv besser entwickelt. Das Ergebnis laut Studienautoren: Die Ergebnisse der Studie weisen deutlich darauf hin, dass langes und ausschließliches Stillen die kognitive Entwicklung von Kindern verbessert.
Aufgrund der gleichen Datenbasis hat die Studiengruppe auch versucht herauszufinden, ob sich das lange Stillen auf die Paarbeziehung, die psychische Verfassung der Mutter oder auf das Verhalten des Kindes auswirkt. Ergebnis: Nein. Sie fanden keine statistisch nachweisbaren Effekte – weder positiv noch negativ. „Wir fangen keine Evidenz, dass es Risiken oder Vorteile von langem Stillen oder exklusiven Stillen für das kindliche oder mütterliche Verhalten gibt.“
In einer Umfragestudie in Australien wollten Forscherinnen herausfinden, wie sich die durch das lange Stillen auftretenden sozialen Reaktionen auf die Mutter auswirken:
Sie befragten Mütter, die sie bei einer LLL-Konferenz rekrutiert hatten, nach den en „sozialen Konsequenzen“ des Stillens – also Kommentare, Reaktionen, ggf. Stigmatisierung – in einer nicht-stillfreundlichen Gesellschaft. Ergebnis: Die empfunden Stigmatisierung steigt mit dem Alter des Kindes. Von 100 Stillenden Müttern berichteten 29 über Stigmatisierungen als ihr Kind älter als sechs Monate war, bei Kindern älter als 12 Monate waren es schon 44 und bei Kindern älter als 24 Monate berichten 61 Mütter negative Kommentare und Ablehnung. Dennoch gaben die Mütter an, dass für sie selbst die positiven Aspekte überwiegen würden.
Es gibt eine Studie, die sich mit der Frage beschäftigt, warum in Entwicklungsländern die lange gestillten Kinder besonders untergewichtig sind und ob das mit dem Stillen zusammen hängt. In der Zusammenfassung argumentieren die Forscher, dass hier ein Missverständnis vorliegt: Schmächtige Kinder werden gezielt länger gestillt, während stärkere Kinder früher abgestillt werden. Die Kinder sind demnach nicht untergewichtig, WEIL sie länger gestillt werden, sondern werden länger gestillt, weil sie untergewichtig sind.
Zu eine ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie mit Daten aus Äthiopien. Wenn das Essen knapp ist, wird länger gestillt, weswegen Stillen auf den ersten Blick mit Unterernährung assoziiert wird. Dies sei jedoch genau andersherum. Außerdem zeigte sich hier: Wenn Kinder länger gestillt werden, sind die Abstände zwischen Geschwistern größer, was die Überlebensrate der Kinder unter diesen Umständen erhöht
Ich fasse zusammen: Länger als 6-12 Monate gestillte Kinder entwickeln sich weder kognitiv noch verhaltensbezogen schlechter als kürzer gestillte Kinder. Auch das Verhalten der Mutter, des Kindes oder die Qualität der Paarbeziehung verändern sich nicht meßbar.
Die Mütter haben erhöhten sozialen Stress durch Stigmatisierung, geben jedoch an, dass für sie die Vorteile es Stillens überwiegen, dies allerdings eine einer Umfragestudie unter LLL-Müttern, die also per se schon einen unterstützendes Umfeld gesucht haben. Die Vermutung, langes Stillen könnte zu Untergewicht führen, lässt sich nicht belegen, vielmehr zeigt sich hier ein kultureller Effekt: Schmächtige Kinder werden länger gestillt. In Entwicklungsländern hilft langes Stillen zudem, die Geburtsintervalle zu vergrößern, was die Überlebenschancen der Kinder erhöht.
Insofern: Stillen ist nicht schuld. Wenn es Stress in der Beziehung gibt oder das Kind sich komisch verhält, ist nicht nachweisbar, dass es am Stillen liegt (auch wenn das oft behauptet wird). Just relax. Dieses Leben ist das Beste, das ihr habt. Nehmt euch die Freiheit :).