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Tragen behindert nicht die motorische Entwicklung

Ganz ehrlich?! Mir geht es zu schnell…

Gefühlt habe ich hier überhaupt kein Baby mehr. Er krabbelt, er zieht sich hoch, interagiert – flirtet – mit der Umwelt, was das Zeug hält, und futtert ordentlich Beikost. Aktuelles Babyalter: 25 Wochen – etwas über einem halben Jahr.

Dabei habe ich ihn doch die ganze Zeit nur getragen und ihn im Tuch oder in der Trage von allem abgeschottet. *ironieoff* … Das musste mal raus.

Was ich mit diesem Blogpost einfach sagen möchte: Tragt Eure Kinder so viel, wie es sich für Euch und Euer Baby gut anfühlt! Denn das Tragen behindert nicht die motorische Entwicklung.

Ich weiß aber auch, dass mein Studienexemplar ein ganz Eiliger ist und es auch Tragekinder gibt, die sich mit der Welteroberung viel mehr Zeit lassen. Jedes Kind hat da seinen ganz eigenen Fahrplan…

Babys: Laufen mit 9 Monaten?

Immer wieder höre und lese ich, dass Babys „in Afrika“ viel früher laufen als in Europa oder den USA. Aber wo genau? Und wie kommt das? Bisher konnte mir niemand etwas dazu sagen. Jetzt habe ich endlich eine Spur.

In meinem neuen Buch „Hunter-Gatherer Childhoods“ gibt es einen Aufsatz von Akira Tadara über Mutter-Kind-Verhalten bei den !Xun (einer Untergruppe der !Kung San).

Sie berichtet dabei von den Ju/’hoan und einer speziellen Gymnastik, die sie mit den Babys machen: Sie halten sie schon wenige Wochen nach der Geburt mehrmals täglich unter den Armen auf dem Schoß und lassen sie dort stehen oder auf und ab springen. Es soll die Babys beruhigen und erfreuen. Tadara schreibt, dass durch dieses „Training“ der Schreit-Reflex nicht verschwindet und die Kinder früher laufen lernen.

Bei uns heißt es immer, der Reflex würde mit ca. 3 Monaten einfach komplett verschwinden. Das stimmt offenbar nicht. Wenn man die Kinder „trainiert“, bleibt der Reflex erhalten. Die Forscher gehen davon aus, dass das Tragen und Trainieren der Kinder zu einer früheren Neuromotorischen Entwicklung führt (sie zitiert hierfür Konnor 1976). Möglicherweise ist das deshalb so wichtig, so mutmaßt Tadara, weil Kinder eines nomadischen Volkes eben getragen werden müssen und daher früher laufen lernen sollen (Seite 290).

Die Ju/’hoan selbst gehen davon aus, dass ein Kind nicht von sich aus Krabbeln, Sitzen und Laufen lernt, sondern dass man dafür etwas tun muss. Sonst bleiben die Knochen „weich“, so sagen sie. Bei uns ist es genau umgekehrt: Man soll die Kinder nicht zu früh hinstellen, weil die weichen Knochen das noch nicht schaffen, habe ich oft gehört. Bei uns heißt es außerdem, man könne die motorische Entwicklung nicht beschleunigen. Kann man offenbar doch. Die Kinder sind nicht einfach so schneller, sondern es liegt am Training, resümiert auch diese Studie aus Kenya.

Das Schlagwort ist offensichtlich „‘African Infant Precocity“ – die „Frühreife afrikanischer Babys“. Wenn man danach sucht, findet man reichlich Artikel und Studien. (Den hier fand ich spannend, weil er mal „von innen“ beschreibt, warum diese Frühreife offenbar mit zwei Jahren stagniert und dann westliche Kinder überholen.) Wer sich ausführlich damit beschäftigen will, ein ausführlicher, spannender Artikel steht hier.

Mein Eindruck insgesamt: Klingt ein bisschen wie die Debatte ums Sauberwerden. Westeuropa sagt: Geht von alleine – und dann dauert das Sauberwerden eben länger. Und Afrika sagt: Muss man früh trainieren – und dann geht’s mit dem Trockensein eben schneller.

Hm. Ist es beim Laufen genau so?