Wir haben hier gerade eine Lektion in praktisch angewendeter Achtsamkeit gelernt. Der Prozess lässt sich in vier einfache Schritte aufteilen, die ich in Zukunft hoffentlich mehr beherzigen werde.
Die Situation: Der Große geht hier nicht mehr in die Kita. Wir hatten in vergangenen Wochen viele Freunde und auch Familie zu Besuch, da war das kein Problem, ein bisschen wie ein kleines Steinzeitcamp. Aber derzeit ist keiner mehr hier und es wird auch bis zu unserer Abreise vorraussichtlich niemand mehr kommen, der sagt: Hey, ich nehme die Kids jetzt mal für zwei Stunden mit auf den Spielplatz. Soweit, so gut. Kein Problem, wir sind ja selber groß.
Aber nach einigen Tagen Alleinsein merkten wir, dass es doch ein Problem war. Dass uns die Energie ausging, das wir auf Spielplatz keine Lust mehr hatten. Wir waren müde, genervt, unzufrieden. Die Kinder unausgeglichen und entsprechend anstrengend.
Achtsamkeit, Buddhismus und Byron Katie haben uns (mir) herausgeholfen.
Das ging so:
Schritt 1: Achtsamkeit
Stelle fest, was ist.Die Anregung ist aus „Mindful Motherhood“ von Cassandra Vieten, das in Kürze im Arbor-Verlag auf Deutsch erscheint und vom Blog von Heike „Family-Zen“.
Was war wirklich los? Die beiden Erwachsenen wollten Zeit für sich. Jeder lechzte insgeheim danach, sich endlich mal für zwei oder drei oder am besten selige fünf Stunden mit einem Rechner in ein Cafe zu setzen und von niemandem unterbrochen zu werden. Das ging aber nicht. Keiner von uns war in der Lage, über längere Strecken sinnvoll beide Kinder zu beschäftigen. Frust war die Folge.
Schritt 2: Buddhismus
Akzeptiere, was ist.
Wo hab ich das gehört? Keine Ahnung, aber gespeichert habe ich, dass Buddha sagt: Versuche nicht, das Leid zu vermeiden. Erst wenn wir versuchen, Leid zu vermeiden, leiden wir. (Korrekt ist wohl: Erst wenn das Verlangen erlischt, erlischt das Leiden, kommt aber in diesem Fall auf dasselbe heraus)
Okay, akzeptieren wir es: Solange wir mit zwei Kindern alleine sind und keinerlei Betreuung haben, gibt es keinen „Freiraum“ für uns. Nein, auch nicht abends.
Wie macht ihr das alle? Ich bin nach täglich dreizehn Stunden Tragen, Stillen, übers Spielplatzgerüst jagen, Puzzeln, Plätzchen backen, Welt erklären, Tränen trocknen und Gutenachtgeschichten ausdenken derzeit abends mit der Energie runter. So runter, dass ich gegen neun mit beiden Kindern ins Bett falle und erst morgens gegen acht aufwache, wenn die Kleine wieder genug Energie hat, um rumgetragen werden zu wollen (nicht eingerechnet natürlich die ca. fünf Mal nächtliches Stillen, das dreimalige Zudecken und ggf. ein Mal Tee kochen/trösten/du-hast-nur-geträumt für den Großen). Der Mann hat etwas mehr Energie, aber so richtig viel ist es auch nicht. Die überschüssige Energie reicht, um abends Mails zu checken und hin und wieder ein paar Zeilen fürs Blog – that’s it.
Schritt 3: Byron Katie
Frage Dich, ob es wahr ist.
Das Schema von Byron Katie ist eigentlich: Ist es wahr? Bist Du absolut sicher, dass es wahr ist? Wie fühlt es sich an, diesen Gedanken zu denken? Was wärst Du ohne diesen Gedanken?
Also los: Stimmt es, dass wir überhaupt keinen Raum für uns haben und dass einen das stressen muss? Hmmm…kann man beides verneinen.
Denn natürlich gibt es Momente, wenn der Große selig mit seinen Lego-Flugzeugen spielt und die Kleine schläft. Das sind nicht drei Stunden-Rechner-und-Cafe, aber es ist freie Zeit. Wenn wir diese halbe Stunde genießen könnten, wenn wir dann nicht schnell Wäsche abhängen, die Küche aufräumen oder uns doch ins Cafe träumen würden (wobei Küche und Wäsche halt auch sein müssen…), dann wäre das wirklich freie Zeit. Und an Tagen, an denen es das nicht gibt – wo bitte ist das Problem?
Wenn wir achtsam sind, stellen wir fest: Wir haben zwei gesunde Kinder, ein Dach über dem Kopf, mehr Nahrung als wir essen können UND wunderbares Wetter. Verflixt, gibt wirklich Schlimmeres, als auf einem Spielplatz unterhalb der wunderschönen Kathedrale von Palma de Mallorca aufs Meer zu schauen und einem Dreijährigen auf einer Kletterburg zu hinterherzuflitzen!!
Schritt 4: Nochmal Byron Katie
Wie würdest Du dich fühlen, wenn es Dich nicht stressen würde?
Genau. Wenn es uns nicht stressen würde, wären es einfach wunderbare Tage als Familie. Sonnige, herrliche Tage mit zwei Kindern, Zeit, in denen wir uns als Familie finden, unsere Phantasie spielen lassen, unseren Impulsen freien Lauf lassen können. Der Große will ins Aquarium? Auf ins Aquarium. Jemand Hunger auf Plätzchen? Juchuh, Teigparty! Strand gefällig? Super, und *hops* rein in den Bus!
Und genau so machen wir es jetzt. Und seitdem ist das Leben erstaunlich großartig. Wir sind nicht mehr gestresst, wir nerven uns nicht mehr gegenseitig an, die Kinder sind ausgeglichen, wir finden neue Wege, neue Spiele, neue wunderbare Seiten aneinander und miteinander.
Zugegeben: Ich kann das nicht zehn Jahre lang so machen. Ich kann nicht auf ewig darauf verzichten, endlich mal ein paar Stunden am Stück einen klaren Gedanken zu fassen. Aber ich kann es jetzt noch genießen bis in Berlin der kalte Großstadtalltag wieder anfängt. Und dann beginnt ja auch die Zeit, wenn jeder von uns Großen wieder täglich stundenlang vor seinem Rechner hängt.
Wahnsinn. Das Leben kann so einfach sein.
Wie schön, dass Ihr das erkannt habt! Und wie Ihr es erkannt habt.
Man kann sich gar nicht oft genug klar machen, wie gut wir es doch haben 🙂
Ich wünsch Euch weiterhin viel Genuss unter der Sonne und freu mich, wenn Ihr bald den echten Frühling mit nach Berlin bringt. Ein paar Vorboten gibt es schon!
Herzlich, Nico
Vielen Dank fuer diesen Artikel und Deinen Link. Auch wir sind nach dem Erdbeben hier in Christchurch an unserer Grenze. Da kommt Deine Erinnerung wie gerufen. Ich finde sehr schoen, wie Du den Pozess beschrieben hast. Wirklich hilfreich.
Liebe Gruesse
Heike
Liebe Heike,
ich hab darüber gelesen – und nebenbei bloggst du so fleißig weiter! wie geht es euch?
nica