BoBB – live

Auf dem Spielplatz am Petco-Stadium habe ich heute live erlebt, dass der BoBB-Film kein Kino ist, sondern wahre Geschichten erzählt. Diese junge Frau, nennen wir sie Athena, ist eine davon. Sie spielt im Sand mit ihrer 15 Monate alten Tochter. Mein Sohn krabbelt dazu und so kommen wir ins Gespräch. Sie ist in der 25. Woche mit dem zweiten Kind schwanger.

Ich frage, nicht ohne Hintergedanken, wo sie denn entbunden hat und wie das hier in San Diego so sei.

„Ich war im Krankenhaus“, erzählt Athena, „das war okay, es war ein Kaiserschnitt. Es war ein Notfall.“

Ich antworte wahrheitsgemäß: „Oh, na dann ist es ja gut, dass ihr im Krankenhaus wart!“

„Ja, das war gut, ihre Herztöne waren plötzlich schlechter geworden.“

Hm, jetzt klingt es schon wieder anders…Notfall? Das hört man so häufig, bei fast jeder Geburt werden irgendwann die Herztöne schlechter, so scheint es, ich kenne kaum eine Frau, die das nicht erzählt. Was wohl dahinter steckte? Ich schaue auf die spielenden Kinder, da fährt sie ganz von alleine fort:

„Naja, es war nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte.“

Darf ich jetzt weiterfragen? Ich wage es:

„Was meinst du denn damit…?“

Sie lächelt etwas schief: „Naja, ich hatte eine PDA, das war wirklich gut!“

„Ja, das hatte man mir auch angeboten“, erzähle ich, „aber ich wollte mich auf keinen Fall in den Rücken pieken lassen und bei uns war das Glück – 20 Minuten später war der Kleine auch schon da und kerngesund. Wie ist denn das, eine PDA, hilft das?“

„Ja, das hilft, die Schmerzen waren sofort weg, das war gut, ich hatte starke Schmerzen, ich konnte nicht mehr.“

„Ja, das verstehe ich. Wie lange hattest du denn Wehen?“

„Schon ein paar Stunden, naja, sie war ja 14 Tage zu spät…“

„…hm, da würden sie in Deutschland wahrscheinlich einleiten…“

„…ja, das wollten sie auch, aber dann kamen doch Wehen, einen Tag vor Einleitungstermin…“

„Das ist doch toll, so ein Glück!“, freue ich mich, aber Athena fährt fort:

„… aber dann haben sie mir trotzdem zusätzlich Pitocin (künstliches Oxytocin, wehenförderndes Mittel, Anm. d. V.) gegeben, um alles zu beschleunigen.“
Hier werde ich hellhörig. Beschleunigen? Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Wenn sie doch ganz normale Wehen hatte? Wollte da ein Arzt pünktlich zum Abendessen zu Hause sein?

„Und dann?“ jetzt bohre ich, jetzt will ich es wissen, auch wenn ich ahne was kommt.

„Naja, dann wurden die Wehen plötzlich so stark, ich hatte solche Schmerzen, das hab ich nicht mehr ausgehalten, dann haben sie mir die PDA gelegt. Dann waren die Schmerzen weg, aber die Wehen auch. Ich hätte einkaufen gehen können, ich hab gar nichts mehr gemerkt. Aber dann kamen plötzlich die Schmerzen wieder, nur auf einer Seite, auf der anderen war ich wie gelähmt…“

Ich musste nicht fragen, um zu wissen, dass sie an diesem Punkt bereits auf dem Rücken oder der Seite in einem Bett lag, keine Chance mehr, ihrem Kind auf die Welt zu helfen, keine Chance, sich frei zu bewegen, das Kind von den künstlichen Wehen erst gestresst und dann von den Betäubungsmitteln ebenfalls nicht mehr ganz wach, ebenso unfähig, bei der Geburt mitzuhelfen. Es kam, wie es kommen musste:

„…und dann wurden die Herztöne schlecht und sie haben gesagt, jetzt müssen sie das Baby holen.“

Ja, das war an diesem Punkt wahrscheinlich wirklich der einzige Weg. Aber am liebsten würde ich weinen. Hier und jetzt. Da sitzt Athena vor mir, diese schöne, junge Frau, mit ihrem spielenden Töchterchen, ihrem Kind im Bauch und es ist genau so, wie sie es im Film beschreiben: Ein Domino-Effekt von Eingriffen hat ihr das Erlebnis einer natürlichen Geburt genommen, die sie möglicherweise, wahrscheinlich sogar, in ihrem Tempo wunderbar gemeistert hätte. Und sie erzählt gerade einer völlig Fremden, dass ihr das nicht gut getan hat.

„Ich war sehr traurig“, sagt sie mit Blick auf ihr Kind und einer Hand auf ihrem Bauch bei ihrem Ungeborenene, „es war so schade, ich hatte mich so auf die Geburt gefreut!“

„Klingt wie ein Domino-Effekt“, versuche ich meine Gedanken vorsichtig auszudrücken.

Sie zögert keine Sekunde: „Ja, das habe ich mir auch schon gedacht! Aber vielleicht lag es auch an mir und ich habe Angst, dass ich das einfach nicht kann, deshalb werde ich nächstes Mal wohl wieder ins Krankenhaus gehen. Naja, eigentlich würde ich gerne in einen Geburtshaus gehen, aber mein Mann steht nicht hinter mir. Ich weiß nicht, ob ich mich traue.“

Was soll ich tun? Ich erzähle ihr vorsichtig von dem Film, ich versuche herauszufinden, wovor ihr Mann Angst hat, versuche ganz ganz vorsichtig zu erzählen, dass bei uns auch viele skeptisch waren und warum, und dass wir aller Panikmache zum Trotz eine natürliche, wunderschöne Geburt im Geburtshaus erleben konnten.

Sie lächelt und streichelt immer noch ihren Bauch. „Hm, das klingt gar nicht schlecht.“ Wir wechseln das Thema und reden über San Diego, über Europa, über das alte Griechenland. Dann geht die Sonne unter, es wird kühl. Wir packen zusammen udn geben einander die Hand.
„Hey, weißt du was, vielleicht versuche ich es doch“, sagt sie zum Abschied.

Ich muss mir unbedingt diese kleine Broschüre von choicesinchildbirth.org besorgen.

Im Zehnerpack.

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