Am 13. Dezember 2013 war ich mit Monique Reiter gemeinsam zur Veranstaltung von Reinhard Kahl im Gespräch mit Remo H. Largo in der Urania.
Wer bestimmt den Lernerfolg: Kind, Schule, Gesellschaft?
Der Schweizer Kinderarzt Remo Largo ist der Mann mit dem Überblick über die gesamte Vielfalt unter den Kindern, aber auch der Herr der kindlichen Entwicklung in Zahlen und Tabellen. Er weiß, wie die breite Entwicklungsspanne von Kindern ausschaut. Denn er betreute eine lange Zeit die große Schweizer Langzeitstudie (1954-2005) über die kindliche Entwicklung in Zürich.
Hier kommen jetzt ein paar Auszüge des Abends, die ich für mich mitgenommen habe:
Ein Kind zu erziehen – in dem Sinne, es dort hinzubringen, wo wir es haben wollen – ist nicht ideal.
Befriedigte Bedürfnisse sind für die Entwicklung von Kindern wichtig.
Es gibt eine Vielfalt auch unter den Menschen, nicht nur in der Tier- und Pflanzenwelt. Wir sind vielfältig. Jedes Kind ist ein Unikat.
Er zeigte anhand von Videos, dass man kleine Kinder (1-3 Jahre) überfordern kann, wenn man ihnen Aufgaben vorgibt, die sie noch nicht erfüllen können. Diese Kinder zeigten sich auf für sie schwierige Aufgaben abwesend oder aber auch bockig, trotzig. Schon eine Studie aus den 1970er Jahren zeigte, dass man Kinder nicht (früh-)fördern kann.
Alles, was Kinder lernen sollen, ist in den Kindern angelegt. Wir können nur das Umfeld gestalten. Wir können den Kindern nichts beibringen.
Auch zeigte er Videos von „auffälligen Kindern“. Wenn man diese aufforderte Dinge zu tun, die sie nicht oder kaum konnten, reagierten diese mit Unaufmerksamkeit und körperlicher Unruhe. Gab man ihnen aber eine Aufgabe, die sie begeisterte, waren sie wie ausgewechselt und machten den Eindruck, als wären sie ganz „normal“.
Die von ihm betreute Langzeitstudie brachte ebenfalls unter anderem hervor, dass es Kinder gibt, die brauchen 1000 Arm- und Beinbewegungen pro Stunde und die anderen 3000. Doch alles ist normal. Seiner Meinung nach sollte man schauen, wie man die kindlichen Bedürfnisse im Zusammenleben – aber auch in der Schule – integrieren kann. Er nannte das Beispiel einer Lehrerin, die einem Schüler mit viel Bewegungsdrang gestattete, wenn er merkte, er kann nicht mehr stillsitzen, sich zu melden, dass er dann aufstehen möchte um einmal die 5 Etagen des Schulhauses hoch zu stiefeln und zurück. Danach war dieser Schüler wieder aufnahmefähig und konnte dem Unterricht gut folgen.
Jedes Kind kann lesen und schreiben lernen – zu seiner Zeit und in seinem Tempo.
Deshalb findet Largo, dass man Kindern Angebote machen soll, die ihrem Entwicklungsstand entsprechen. Denn die Entwicklungsprofile sind so verschieden, wie es Kinder gibt. Und weil wir als Einzelwesen nicht überlebt hätten, profitierten wir Tausende Jahre von der Heterogenität der Gruppe. Jeder brachte seine persönlichen Fähigkeiten ein. Somit ist es heute die schwierige Aufgabe unserer Gesellschaft, alle Kinder mit ihren individuellen Fähigkeiten zu integrieren.
PISA war natürlich auch ein Thema. Hierbei brachte Reinhard Kahl ein, dass es eine verbreitete Vorstellung sei, die Kinder mit Wissen wie Fässer füllen zu müssen. Doch dies sei ein Irrtum laut Largo. Ein besseres Abschneiden im PISA-Ranking gelingt nicht durch noch mehr Wissensvermittlung. Denn die Lernsituation wird dadurch nicht besser, sondern schlechter. Dabei machen die Kinder die Erfahrung, sie können vieles nicht.
Es ist Quatsch den Kindern vorzuführen, wie schwach sie sind. Das ist demotivierend.
Im Laufe des Abends leitete Remo Largo den entscheidenen Lernerfolg über die Mitschüler her. Erst danach kommen die Lehrer und weit dahinter die Schule, Familie und andere.
Das Lernen kommt vom Kind aus. Wenn die Rahmenbedingungen gut sind, dann will jedes Kind lernen.
Ich fand den Abend sehr spannend. Auch bekam ich einige neue Denkanstöße im Umgang mit Kindern. Doch wenn es kein Gespräch zwischen Reinhard Kahl und Remo Largo gewesen wäre, dann hätte mich die Veranstaltung eher an eine Univorlesung erinnert: viele Zahlen und Diagramme.
Moniques Meinung zum Abend war folgende:
… Es wurden Studien aufgeführt, die sicher plausibel und durchdringlich waren. Es wurden Themen angerissen die durchaus wichtig und unbedingt ernst zu nehmen sind. Sinngemäß kam heraus, dass wir die Natur des Kindes und die Individualität des selbigen sehen müssen. Dann werden wir ihnen den Lernerfolg bescheren können, den sie brauchen.
Mir drängte sich eine einfache Frage auf. Nicht in einer Passage kamen Kinder zu Wort. Wir reden immer über Kinder aber zu wenig mit ihnen. Und wenn wir mit ihnen reden, hören wir ihnen dann richtig zu? …
Wer noch mehr Inhaltliches vom Abend in der Urania wissen möchte und sich von Zahlen und Darlegung von Studien nicht abschrecken lässt, dem sei wärmsten das Taschenbuch von den beiden Herren empfohlen: Wer bestimmt den Lernerfolg: Kind, Schule, Gesellschaft? – Remo H. Largo, Reinhard Kahl (Hrsg.)