Eltern, gebt euch nicht selbst auf – schaut hin

Attachment Parenting hat mit Selbstaufgabe nichts zu tun. Wenn Eltern nicht auf sich achten, hat das andere Ursachen. 

In der Zeit erscheint von Caroline Rosales (UPDATE: bekannt vom Stadtlandmama-Blog – seit 3 Jahren nicht mehr dort aktiv – daher hier gestrichen) einen Artikel mit der verführerischen – und völlig korrekten – Überschrift „Eltern, gebt euch selbst nicht auf“.  Ich gehe da voll mit – bis zum Ende der Überschrift. Zum Rest des Textes ist so einiges zu sagen. Er sagt viel über den Prenzlauer Berg (ich bin selbst Berlinerin, Amen), aber wenig über Attachment Parenting. Es fängt an mit einer berührenden Selbsterkenntnis der Autorin, zum Zeitpunkt der Erzählung erschöpfte Mutter:

„Ich war isoliert und selbst schuld daran.“ Genau. Tut mir leid, Caroline, aber so ist es. Wir sagen das im Artgerecht-Projekt immer wieder: ALLEINE kann man das nicht schaffen. Das sage ich. Das sagt Herbert Renz-Polster. Das sagt die gesamte anthropologische Forschung zum Thema. Hast du sicher schon gelesen, Stichwort: „kooperativ aufziehende Art“.

Weiter gehts. Caroline benennt die Quellen – aber hat sie sie auch gelesen? „Der Begründer dieser Methode war der amerikanische Kinderarzt und achtfache Vater William Sears.“ Korrekt. Und der hatte mit Selbstaufgabe wenig im Sinn. Der schrieb auch darüber, wie man einen dauerstillendes Kind auf andere Gedanken bringt. Und zwar konsequent. Wie man genug Schlaf kriegt. (siehe „The Fussy Baby Book“).

13221705_1010025792384077_7529947437792757133_nEr schreibt in seinem Standardwerk „The Babybook“ über liebevolle Flaschenfütterung (ab S. 200). Auf S. 416-428 geht es darüber, wie Mütter Arbeit im Büro und AP verbinden können. Notabene: In den USA gibt es 12 (!) Wochen Maternity Leave, nicht 12 Monate Elternzeit.

„Eine komplette Symbiose mit seinem Kind einzugehen ist jedoch nicht nur unnötig anstrengend für die Eltern, sondern in den Augen von Kinderpsychologen schlicht pathologisch.“ Natürlich ist das so. Wer hätte daran gezweifelt? Aber wo steht, dass AP eine „komplette Symbiose“ mit dem Kind erfordert? In meinem Artgerecht-Babybuch nicht. Bei Julia nicht. Bei Nora nicht. Bei Herbert nicht. Liebe Caroline Rosales, Quellen bitte!

Und natürlich sind Babys auch anstrengend. Partner übrigens auch. Sogar mein Mac ist manchmal anstrengend. Das gehört einfach dazu. Das Problem ist nur, dass wir unter Umständen leben, die Babys EXTREM anstrengend werden lassen können. Aber das liegt nicht an den Babys. Und nicht an AP. Sondern an den Umständen.

Für wen AP „die Einstiegsdroge, das Ticket in die Hölle der Selbstoptimierung“ ist, der hat kein Problem mit AP. Sondern mit Perfektionismus. Und für diese Menschen ist AP sicher keine gute Idee. Das schreibe ich auch. Für diese Menschen ist aber auch glutenfreie Ernährung, Planking oder Yoga keine gute Idee. Sie übertreiben nämlich gerne mal alles. Das hat nix mit AP zu tun. Sondern mit der inneren Einstellung.

Und doch kenne auch ich das: „Ich erinnere mich an unzählige toxische Zusammenkünfte“ – ja, ich mich auch.  Und deshalb habe ich auch schon vor fast 10 Jahren geschrieben, dass AP nunmal nicht automatisch glücklich macht.

AP-MamaDie Erkenntnis aus all dem kann nicht sein: Yoga ist böse, weil man sich damit, wenn man es falsch betreibt, auch weh tun kann. Auch nicht: Veganes Essen ist oberböse, weil Eltern ihre Säuglinge mit Buchweizen zu ernähren versuchen und so umbringen.

Die Erkenntnis muss sein, was die alten Griechen schon vor 2000 Jahren wussten: Μηδὲν ἄγαν.Mēden agān.„Nichts im Übermaß!“

Das ist nur eine der drei apollonischen Weisheiten von Delphi. Die zweite ist Εἶ. „du bist“. Genau. Und deshalb dürfen auch Mütter mal alleine aufs Klo gehen. Oder eben ins Kino. Oder sogar arbeiten (zum Beispiel Bücher schreiben…weia…).

Die dritte apollonische Weisheit lautet übrigensΓνῶθι σεαυτόν „Erkenne dich selbst!.  Und hier liegt am Ende auch der Schlüssel für gesundes, maßvolles, bindungsfreundliches Attachment Parenting und eine gesunde Reflexion über das Thema. „Wir wohnten damals in Berlin-Prenzlauer Berg, der Papa kam erst spät abends nach Hause, und mein Sohn besuchte mit drei Jahren noch keinen Kindergarten“ – wenn ich merke, dass mir das zuviel ist, dann sollte ich mit meinem Mann sprechen, umziehen oder Kinderbetreuung an den Start bringen. Aber mich nicht über eine Methode beschweren, die für meine persönlichen Entscheidungen und fehlenden Grenzziehungen nichts kann. Denn am Ende sind wir für unser Leben alle selbst verantwortlich.

Deshalb steht im Artgerecht-Babybuch auf der letzten Seite: „Wer alles glaubt, was er liest, sollte besser nicht lesen.“ Wir müssen unseren Kopf selbst benutzen.  Hilft ja nix. Und dann findet euren Weg. Und lasst anderen ihren Weg.  Toleranz und Pluralismus – auch dafür plädiere ich schon lange.  Auch dafür steht in meinen Augen AP.

Eure Nicola

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