„Gibt deinem Kind Zeit, neue Dinge zu lernen.“
Hahaha. Eltern sollen weder vorzeitig in Panik ausbrechen noch krankhafte Verzögerungen übersehen. Wie macht man das, liebe Jan?
Unsere Kleine aß nicht. Der Große drehte sich nicht. Manch anderes Kind spricht nicht. Jedenfalls nicht dann, wenn es die Entwicklungstabellen vorschreiben. Für Eltern sind solche Situationen häufig mit Stress verbunden.
In der AP-Szene ist es ziemlich verpönt, sich Sorgen zu machen. „Lasst den Kindern ihre Zeit“, flötet es aus aller Munde. Wir rühmen uns, nicht an leistungsorientierten Gesprächen a la „meine dreht sich aber schon seit drei Tagen!!“ teilzunehmen.
Ich stehe voll hinter dieser Haltung. Und mahne doch zur Vorsicht.
Das Kind von Bekannten aß plötzlich keinen Brei mehr und hörte auf, sich zu drehen. Der Kinderarzt riet, mit mehr „Nachdruck“ zu füttern und motorisch etwas mehr herauszufordern. Die kluge Mutter holte sich eine zweite Meinung. Es kam heraus, dass das Kind an einer seltenen, schweren Krankheit litt.
Ein anderes Kind aß viel zu wenig und wuchs kaum. Damals hatte ich von Kindern keine Ahnung und sah hilflos zu, wie die Eltern in großer Sorge von Arzt zu Arzt liefen und schließlich ohne Ergebnis einfach resignierten mit der Aussage, dass das Kind wohl einfach wenig Appetit hätte. Mit dem, was ich heute weiß, hätte ich zumindest erzählen können, dass auch eine Bindungsstörung zu Essverweigerung führen kann.
Eine Blog-Leserin schrieb mich vor Monaten an, weil ihr 15 Monate altes Kind immer noch voll stillte. Ich antwortete vorsichtig und riet zu professioneller Hilfe – mit einer Gedeihstörung ist nicht zu spaßen. Es stellt sich heraus, dass das Kind seinen Zungenstreckreflex nicht abgelegt hatte, was offenbar schon durch eine starke Erkältung mit viel Schleim im Rachen ausgelöst werden kann. Der Reflex ließ sich logopädisch behandeln und schwups fing das Kind an zu essen.
Warten kann gefährlich sein. Oder wichtig.
Hier: 11 Monate lang so gut wie kein Interesse an Essen. Doch seit die Vorderzähne durchgebrochen sind, vertilgt sie schier unfaßbare Mengen an fester Nahrung… Der Große dreht sich spät, läuft spät – und ist jetzt im Kindergarten bekannt als extrem sicherer Kletterer, spielt souverän mit seinem Skateboard, ist motorisch kaum zu stoppen. Ein anderes Kind spricht ewig nicht – und haut dann von einem Tag auf den anderen ganze Sätze raus.
Der Grat ist schmal. Balanciert. Hört auf eure Intuition (es ist euer Kind, niemand kennt es so gut wie ihr), haltet Augen und Ohren offen, geratet auf keinen Fall in Panik. Informiert euch. Gebt eure Selbstverantwortung nicht am Anmeldetresen des Kinderarztes ab.
Gebt eurem Kind immer Zeit, neue Dinge zu lernen…
Amen.
Gluecklicherweise hat mein Sohn genau dann angefangen, seine Schuechternheit ein bisschen zu ueberwaeltigen, als ich angefangen habe, mich ernsthaft zu sorgen. Und jetzt bin ich wirklich froh, dass ich ihn nicht unter Druck gesetzt habe.
Bei uns haben alle gesagt, boah, der Krabbelt ja gar nicht, läuft nicht und spricht nicht, von aufm Bauch liegen wollen ganz zu schweigen…wir haben ihm vertraut, er hat mit 9 Monaten gesessen, ist von da aus dann in die Bauchlage, ist mit 13 Monaten gekrabbelt (Bärenkrabbeln), mit anderthalb gelaufen und spricht seit er 2 ist wie ein Wasserfall und ist heute motorisch und sprachlich superfit!
Wir hatten da ein ganz klares Gefühl! Ach ja, wesentliche Mengen vertilgt hat er auch erst mit fast zwei, aber angefangen mal zu kosten seit er 6 Monate war…
Frohe Weihnachten!
Marja
Rein aus Interesse: Was heisst bei dir bzw. deinem Großen „spät“ drehen?
Hab hier einen 5 monatigen Rückenlieger, der nicht mal dran denkt…da der große Bruder in allem so schnell war, was die Motorik angeht, fällt es mir schwer, mir keine Gedanken zu machen….und bin mir über die weitere Vorgehensweise selbst noch nicht im Klaren…
Schöner, sehr treffender Beitrag zu schwierigem Thema.
Ich denke auch, dass es in allererster Linie wichtig ist auf sein Bauchgefühl zu hören und dem Kind zu vertrauen. Die meisten Kinder haben einfach ihr eigenes Tempo.
Allerdings könnte ich die Liste wo „abwarten“ auch mal schief gehen kann beliebig verlängern. Beispiel: Kind einer guten Freundin zeigte keine Anstalten sich zu drehen und machte Greifbewegungen nur einseitig. Freundin hat sich glücklicherweise schnell dahintergeklemmt und tragischer weise kam heraus, dass kind wohl schon in der schwangerschaft einen schlaganfall hatte.
das kind ist nun 15 monate alt, hat zwar noch einiges aufzuholen aber die chancen auf eine normal verlaufende entwicklung stehen gut, eben weil frühzeitig was getan wird.
und etwas weniger dramatisch: 2 kinder aus dem bekanntenkreis haben schon mit knapp einem jahr einen dauernd offenen mund, ständig infekte und dauersabbern. grund ist schlicht eine schwach ausgebildete mundmuskulatur (man beachte beide sind flaschenkinder, bei stillbabys, vorallem bei langzeitstillern passiert das so gut wie nicht, da das stillen die muskeln viel besser stärkt). man könnte in diesem alter mit ein wenig manueller therapie dem ganzen abhilfe schaffen. anderenfalls kommt es zum größten Teil in den folgenden Jahren zu Dauerschnupfen, zu Polypenbildung und im schlimmsten Fall zur Entfernung dieser (entscheidet man sich für den konventionellen weg).
selbst therapeutin aber auch Mutter, die sich von sämtlichen vergleichsrunden und tabellen distanziert, ist für mich dieser Balanceakt teilweise sehr schwer, da sich die blöden entwicklungstabellen durch ausbildung und job leider fest ins hirn eingebrannt haben. dass mein mann ergotherapeut ist, erleichtert das ganze nicht gerade… 😉 nun, hält sich unser sohn jedoch brav an diese tabellen (nein, wir üben NICHT irgendwas mit ihm!)
aber es könnte auch anders sein und dann würden wir auch nicht sofort bei jeder kleinigkeit zum arzt rennen. denn es gibt eben solche und solche beispiele und von daher kann ich es nur unterstützen euer kind genau zu beobachten und auf eure intuition zu hören. aber nur mal so: was ist eigentlich so schlimm daran sich unterstützung zu holen wenn man sich unsicher ist? ein guter arzt oder therapeut ist doch genau dazu da eltern in solchen fragen zu beraten. auch ich habe in meiner berufspraxis schon 2jährige „nicht-sprecher“ wieder nach hause geschickt, weil ich einfach im gefühl hatte, dass dieses kind mit diesen eltern schon bald supersätze von sich geben wird (kollegen, fallt ruhig über mich her!). aber es ist halt auch nicht verwerflich ganz kleine ein wenig zu unterstützen oder „anzuschieben“ wenn sie es brauchen, denn oft quälen sich dann diese kinder kurz vor der einschulung ewig rum… und das hat nichts mit „unter druck setzen“ zu tun, sondern einfach mit guter beobachtung und eventuell hilfreicher handlung.
also wie ende ich jetzt den psalm… irgendwie immer einen guten mittelweg versuchen zu finden, wie bei ganz vielen anderen sachen im leben.
guten rutsch euch allen