Zwergensprache? So ein Schmarrn!

Also was mich angeht – ich hielt Zwergensprache für so ein neumodisches Zeugs für Prenzlauer-Berg-Muttis, die nix anderes zu tun haben, als ihren Babies schon frühzeitig ordentlich Leistungsdruck zu machen. Hielt? Ja, hielt. Bis mein Sohn mir selbst gezeigt hat, dass neumodisches Zeugs genau das ist, was er total toll findet.

Ich hatte ihm – etwas halbherzig – schon einige Zeit mal ein paar Zeichen vorgemacht und er hatte ebenfalls halbherzig manchmal etwas gemacht, das man als das Zeichen für Stillen (Hand auf und zu) hätte interpretieren können oder auch nicht. Irgendwann hatte ich aufgegeben: Meinen Sohn interessiert das nicht und mich ja eigentlich auch nicht. Neumodisch halt.

Bis ich beim Kind einer Freundin fasziniert sah, wie gut und freudig sich der 16 Monate alte Zwerg mit seinen Händen verständigte. Er zeigte das Flugzeug, das er gehört hatte, kommentierte, wenn ihm ein Geräusch zu laut war und warnte vor Motorrädern, weil die ja „heiß“ sein können. Ich war platt. Mein Kind tat nichts dergleichen, schaute seinem Spielkameraden aber mindestens so fasziniert zu wie ich.

Ich beschloss, einen letzten Versuch zu wagen. Eine Freundin gab mir den entscheidenden Tipp: Sie hätte mit dem Zeichen für „mehr“ (mit Zeigefinger in die Handfläche tippen) angefangen in einer Situation, in der ihr Sohn garantiert „mehr“ wollte – Marzipanverkostung. Ich versuchte es ein paar Tage später beim Spielen, als ich etwas gemacht hatte, das ihm zum Lachen brachte. „Nochmal?“ fragte ich und machte das Zeichen. Und es dauerte keine fünf Minuten, als er mein Zeichen imitierte, um mich von neuem zu der witzigen Grimasse anzuregen.

Beflügelt von diesem Erfolg, versuchte ich, ihm weitere Zeichen beizubringen. „Hund“ war mein nächstes, weil wir in Berlin jeden Tag mindestens 5 Hunde auf der Straße sehen. Und diesmal half mir mein kompetentes Kind für den nächsten Schritt. Er änderte das Zeichen für Hund (klopfen auf den Oberschenkel) in ein Zeichen, das er selbst gut machen konnte (Klopfen auf die Brust). Und so verfuhren wir von dort ab: Ich machte ihm ein Zeichen vor, er zeigte mir, wie er es selbst machte und ich übernahm seine Zeichen. Wenn ich mir selbst Zeichen ausdachte (z.B. „Ameise“) lehnte ich es an Bewegungen an, die er selbst im Umfeld des Wortes machte (mit dem Finger auf dem Boden rumkratzen) und er wandelte es wieder so ab, wie wir es dann verwenden (mit dem Zeigefinger auf seiner Brust kratzen).

Mittlerweile plaudern wir angeregt über: Nochmal-Machen, Stillen, Essen, Wasser, Hunde, Katzen, Enten, Ameisen, Pferde, Autos, Flugzeuge, ist-zu-laut, kalt, heiß, Erdbeeren, Fahrradhelm und Schlafen. Als ich das Zeichen für Katze und Enten einführte, suchte ich entsprechende Bilderbücher, in denen das Tier oft vorkam und sah sie mir ein paar Tage lang mit ihm an (so sie ihn interessierten).

Das hat viele Vorteile, vor allem aber den: Auch Papa und andere Personen können leichter herauskriegen, was er gerade möchte, er kann sich leichter mitteilen. Die Kommunikation begeistert übrigens alle, weil es für beide Seiten, Kind wie Betreuer, einfach sehr befriedigend ist, sich austauschen zu können. Und man sollte mal sehen, wie die Augen der Oma leuchten, wenn sie sagt: „Er hat das Zeichen für Erdbeere gemacht und wollte wirklich welche!“ und dann sehe ich meinen kleinen Zeichensprachler zufrieden strahlend auf der erfragten Erdbeere kauen und alle sind einfach nur glücklich.

Aber am fazinierendsten finde ich folgende Idee von meinem Kind: Ich habe immer auf die Dinge geklopft, an denen er sich gestoßen hatte und ihm gesagt „Schau, Du hast Dir den Kopf dort an der Bank gestoßen“ und dann gepustet, wo es ihm gerade weh tat. Und jetzt hat er das übernommen! Wenn er sich gestoßen hat, zeigt er mir erst den schmerzenden Punkt an seinem Körper und dann klopft er auf den Ort, an dem er sich gestoßen hat. Das hat zwei tolle Effekte: zum einen weiß ich immer, was los ist, auch wenn ich den „Unfall“ nicht mitbekommen habe, denn er „erzählt“ es mir auf diese Weise. Und zweitens scheint wie durch ein Wunder der Schmerz aufzuhören, wenn Mama oder Papa nur erst auf die Stelle geklopft haben, an der er sich das Gefühl geholt hat…

Tjaha…was soll ich sagen? Sieht so aus, als müsste ich in den Prenzlauer Berg umziehen ;).

P.S.: Das Zeichen für Mal-Müssen hat er übrigens bisher galant ignoriert und antwortet auch in 99% der Fälle auf die „Musst Du mal?“-Frage mit einem klaren „Nein“, egal ob er wirklich muss oder nicht. Hingegen auf die Ankündigung „Komm, wir gehen mal…“ reagiert er entweder mit Protest (und muss dann auch nicht) oder mit Kooperation (und macht dann auch).

7 Gedanken zu „Zwergensprache? So ein Schmarrn!

  1. Bei mir war es ähnlich -auch wenn wir noch nicht angefangen haben. Zuerst dachte ich, so ein Quatsch. Dann las ich und sah das ein oder andere youtube-Video von (meist englischsprachigen) Kindern, die sich wundervoll verständigen konnten, manchmal schon bevor sie ein Jahr alt waren. Und irgendwann dachte ich mir, das ist toll, das will ich auch! Ich werde hoffentlich bald anfangen, die Zeichen zu lernen und vorzumachen. Ich finde übrigens, es passt wunderbar in den restlichen AttachmentParenting-Kontext: so wird es viel einfacher für beide Seiten, auf die Bedürfnisse des kindes zu achten, weil es sich einfacher mitteilen kann. Win-Win-Situation, würde ich sagen.

  2. Wahnisnn. Besonders spannend finde ich, daß Ja/Nein-Fragen schwer sind, also Entscheidungen zu treffen. Ist das eine Sache, die ein Kind erst ’später‘ lernt, das wäre doch hilfreich zu wissen, falls das so eine Entwicklungsstufe ist. Die Kleinen sind einfach schon so schlau, wenn Sie auf die Welt kommen, das ist wunderschön!

  3. Bei uns waren Entscheidungsantworten sogar die allerersten – „Nein“ war sein erstes „Wort“ (er benutzte anfangs Kopfschütteln), das er auch wirklich gezielt und klar einsetzte – noch vor „Mama“. Das Kopfschütteln hat er schon vor Monaten angefangen.

    Dann kam eine Phase, in der er einfach probeweise zu allem Nein zu sagen schien und dann oft doch „Ja“ meinte. Jetzt spricht er das Wort selbst aus, sagt ganz klar „Nein“ und meint es auch. Dafür ist gerade „Ja!“ in der Probephase und vieles wird erstmal bejaht. Ich verhalte mich immer gemäß seiner Entscheidungen, um ihm zu zeigen, dass ich das ernst nehme und das hat bei uns schon viele erleichtert.
    Zum Beispiel das Anziehen:
    Wenn ich frage: Darf ich Dir jetzt die Hose anziehen? dann ist es klug, sein „Nein“ zu respektieren. Zwei Minuten später kann ich auf die gleiche Frage nämlich schon ein „Ja“ kriegen, wenn er z.B. sein Spiel beendet hat und dann geht das Anziehen viel entspannter für alle über die Bühne.

  4. „nein“ bzw. Kopfschütteln ist bei uns auch einer der Favoriten. Von „Mama“ ist noch nichts zu hören – die ist ja immer da, warum sollte man nach ihr fragen 🙂 „BitteBitte“, also in die Hände Klatschen ist auch eines der (wenigen) Zeichen, die unsere Tochter (1 Jahr) im Moment benutzt. Das heißt meistens „ich brauche was zu trinken!“ (Wasser). Wenn sie ohne Windel abends beim Schlafengehen im Familienbett sitzt, heißt das dann „… Mama, tut mir leid, dass ich Dich nochmal aufscheuche, – aber ich muss mal groß“. Manchmal heißt es auch lehrbuchmäßig „bitte gib mir xyz (Stück Gurke, Tomate, Brot, Wurst, etc. je nach Kontext)“

    Hauptsache ist, dass überhaupt Kommunikation stattfindet und dass sie allen Beteiligten Spaß macht! Ich freue mich schon auf die nächsten Erlebnisse.

    Nica, danke für Deinen schönen ausführlichen Bericht!

    Viele Grüße

  5. Hallo Nica

    super, das klingt sehr ermutigend. Wir haben vor kurzem mit einigen Zeichen angefangen, aber ich muss mich noch recht disziplinieren, sie auch immer zu machen. Ab ca. 6 Monaten lernen sie es wohl. Da ich das Thema ausschliesslich aus Amerika kenne (z.B. gibt es ein Baby aus einer amerikanischen Sitcom, das „baby signs“ macht) werde ich einfach die American Signing Language Zeichen verwenden. Die kann man sich an verschiedenen Stellen im Internet anschauen. Bin gespannt, wann er zum ersten Mal ein Zeichen machen wird!

    Liebe Grüsse
    Bettina

  6. Hallo Nicola,

    so habe ich es oft gehört: Erst sind Mamas und Papas skeptisch gegenüber Babyzeichen (Zwergensprache) – aber sobald der Nachwuchs die ersten Zeichen zeigt, sind alle begeistert und starten so richtig durch.

    Ich zeige Ben seit er sechs Monate alt ist Babyzeichen. Ben ist jetzt 25 Monate alt, spricht viel – benutzt aber immer noch Babyzeichen, um zu zeigen, dass ihm etwas sehr wichtig ist. Ich bin aber auch noch fleißig dabei, die Gebärden beim Singen und Bilderbuch-Vorlesen-Betrachten zu benutzen. Ich lasse dann mal ein Wort aus und zeige stattdessen das Babyzeichen. Ben sieht es, übersetzt und fügt es dann ein. So singen wir dann z.B. „Backe, backe ‚Kekse‘ “ oder „Backe,backe ‚Brot‘ “ ….

    Ich habe zu diesem Thema zwei Webseiten erstellt:

    http://www.sprechende-haende.de informiert über Babyzeichen, stellt diese mit Zeichnungen vor. Dazu kommen dann Fotos und Videos von Kindern, die Gebärden zeigen.

    http://babyzeichen.blogspot.com Dort schreiben Eltern über ihre Erlebnisse und Ideen rund um Babyzeichen. So entsteht ein buntes Bild über den Spaß, den wir mit Babyzeichen haben.

    Schau doch mal vorbei – und wenn du auch einen Bericht für den Blog schreiben willst, dann schicke eine Mail an Birgit@sprechende-haende.de Ich freue mich über jeden, der von Babyzeichen begeistert ist.

    Viel Spaß mit Zwergensprache
    wünscht

    Birgit

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