Unser Kind geht auf eine ganz „normale“ Schule. Die Dorfschule, auf die alle Kinder gehen. Aber ist das Artgerecht? Unsere Schule ist Teil unseres Clans – eine klare Prioritätensetzung meinerseits. Nicola Kriesel fragt im Blog „die Physik von Beziehungen“ danach, wo und wie unsere Kinder zur Schule gehen und hat mich gebeten, von uns zu erzählen, was ich im Bildungskongress-Video schon angerissen habe.
Welche Schule? Für mich kommt es drauf an, wie man die Prioritäten setzt. Wenn man freies Lernen als oberstes Ziel hat, ist die Dorfschule weitgehend indiskutabel. Dort findet zwar Jahrgangsübergreifend ein bisschen was statt, aber die Klassiker Hausaufgaben, Tests und Bucharbeit nach Plan sind hier deutlich vertreten.
Dennoch haben wir uns dafür entschieden. Und zwar wegen Schlaf, Selbstbestimmtheit und Spielkameraden. Artgerecht heißt nämlich für mich auch: Als Schulkind selbstständig unterwegs sein. Eine freie Schule hätte für uns bedeutet, dass wir um sechs Uhr hätten aufstehen müssen, kurz vor sieben ins Auto, eine Stunde Fahrt durch den Berufsverkehr, lauter Kinder in der Klasse, die ganz woanders wohnen, jeden Tag das Kind bringen und abholen. Selbstbestimmung? In der Schule vielleicht, den Rest muss Taxi Mama erledigen.
Unsere Dorfschule heißt für uns: Schlafen bis um sieben (oder auch später), gemütlich gegen 7:40 loszuckeln mit den Freunden aus dem Dorf, nach der Schule mit Schulkameraden den Berg wieder hochlaufen (und gerne mal eine Stunde nach Schulschluss erst ankommen), sich spontan verabreden, mal eben schnell etwas zwei Häuser weiter abholen, wenn ein Blatt in der Schule geblieben ist.
Für uns war das der wichtigere Aspekt: Der Soziale. Alle aus dem Kindergarten gehen in diese Schule, alle gehen morgens selbstständig zusammen hin und mittags zurück, die Kinder treffen sich auf dem Spielplatz, im Wald, auf den Geheimwegen am Berg. Auch das ist ein wichtiger Teil von Kindheit.
Als ich mich dafür entschied, entschied ich auch, in der Dorfschule alles dafür zu tun, um „frei“ und artgerecht zu sein. Wir betrachten die Schule als Teil unseres Clans, nicht als Gegner, und das ist sehr schön. Ich bin mir sicher, dass jede Lehrerin dort ihr Bestes gibt und das Beste für die Kinder will. Und je besser man sich kennt, desto mehr Vertrauen und Verständnis ist auch da. Also gehe ich zu den Bastelvormittagen, wann immer es geht, ich bin bei den Elternabenden dabei, übernehme Ämter, helfe bei der Organisation. Ich bin im Förderverein der Schule, helfe bei Veranstaltungen und halte engen Kontakt zu Lehrern und Direktorin. Bringe morgens das Kind immer mal wieder mit hin, halte einen kleinen Schnack mit den anderen Eltern oder Lehrern und bleibe so auf dem Laufenden und in Kontakt.
So kommt es, dass wir viele Freiheiten haben, die man vielleicht nicht sofort erwartet. Wenn mein Kind lustlos und schlapp ist, bleibt es präventiv zu Hause oder kommt später. Ich warte nicht erst, bis er krank ist. Das ist mit der Schule abgesprochen, „er konzentriert sich dann ja ohnehin nicht“, sagt die Klassenleiterin. In den ersten zwei Jahren konnte das durchaus öfter passieren und es gab nie Probleme. So hatten wir einen sehr sanften Einstieg ohne Druck.
Wenn mein Sohn keine Hausaufgaben machen kann, weil er einfach so viel Wichtigeres zu tun hat, dann laufe ich morgens kurz mit, erkläre das der Lehrerin und sie hat immer Verständnis. Meistens haben wir dann etwas anderes gemacht (er wollte ausrechnen, wie viele Sekunden er schon lebt, statt das Deutsch-Buch auszufüllen) und bringen das dann mit. Wenn in der Schule irgendetwas ist, kann mein Sohn meine Telefonnummer auswendig, geht zum freundlichen und hilfsbereiten Hausmeister und kann mich anrufen. Wenn nötig, bin ich in fünf Minuten da, um etwas zu bringen, ihn abzuholen oder einfach da zu sein. In den ersten Monaten hat das meinem Kind sehr viel Sicherheit gegeben. Und es führt zu diesem Gefühl, dass die Schule auch nur ein weiterer Ort ist, an dem unsere Familie sich eben aufhält.
Noten spielen bei uns keine Rolle. Wenn er sagt: „Im Test habe ich eine 1!“ frage ich zurück: „Hat es Spass gemacht? War etwas Neues dabei?“ Ich freue mich mit ihm, aber unsere Gespräche drehen sich sehr schnell nicht mehr um die Zahl. Wenn er bei 45 Minuten Hausaufgaben auch mal 10 Minuten aus dem Fenster schaut (in unserer Schule arbeiten die Kinder nach Zeit, nicht nach Stoff, den sie machen müssen), dann ist das so und wir beobachten zusammen die Meisen. Das ist auch lernen, finde ich.
An manchen Tagen hat er keine Lust und Schule ist doof. Das ist auch okay. Dann reden wir manchmal darüber, warum er das macht und dass Schule sicher das Beste von allen Übeln ist (nichts zu lernen ist viel gefährlicher) und dass wir es uns einfach so schön wie möglich machen.
Als Disclaimer muss ich dazu sagen, dass mein Sohn ohne dass ich groß etwas mache (außer vorlesen und begeistert in Museen gehen) Klassenbester ist. Oft muss ich schmunzeln und an die Babyzeit zurück denken: ich sage nur: „so lernt der nie sprechen/laufen/selbstständig sein, aus dem wir nie etwas!!. Er ist ein sozial gut integriertes sehr hilfsbereites, offenes, freundliches Kind. Wir bieten daher auch wenig Angriffspunkte.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass wir sehr frei sind. Vor allem nicht fremdgesteuert oder fremdbetreut. Die Lehrer gehören zu unserem Dorf, zum erweiterten Clan, wir vertrauen ihnen, sie vertrauen uns. Wir halten uns im Großen und Ganzen an die Regeln und kriegen im Gegenzug Freiheiten zugestanden, wenn wir sie brauchen. Und das Kind? Das Kind findet lernen megacool und geht gerne zur Schule. Meistens :).
2 Gedanken zu „Blogparade #schule #unerzogen #artgerechtlernen #selbstbestimmt: Artgerecht Lernen – die Schule als Dorf“
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