Ach, ich liebe Bücher, die mich aufwühlen, die mich ärgern, bei denen mir der Mund offensteht, die mich zum Nachdenken anregen – und das neue Werk der französischen Philosphin Elisabeth Badinter „Der Konflikt. Die Frau und die Mutter“ ist so eines. Ich darf die Zusammenfassung vom Perlentaucher verwenden:
Frauen sollten wieder zurück zu Heim und Herd. Diesmal nicht, um den Mann zu umsorgen, sondern das Kind. Unter dem Banner der Natürlichkeit werden die Ansprüche an die gute Mutter so in die Höhe geschraubt, dass Frauen ihre Freiheiten wieder zu verlieren drohen, fürchtet Elisabeth Badinter.
Ein Interview im Spiegel hier, Artikel der taz sieht uns am „Zügel von Mutter Natur“, die FR schreibt, Badinter wolle Frankreichs Frauen vor der Öko- und Stilllobby schützen.
Soweit, so gut. Badinter wendet sich im Prinzip gegen das Attachment Parenting – das in diesem Blog ja das Thema ist – und verurteilt es als Versuch, den Frauen die Segnungen des Feminismus zu entreißen und sie mit Hilfe der Babies wieder aus den Büros zu holen und zu Hause anzuketten.
Seit fast drei Jahren recherchiere ich nach Gegenargumenten gegen die Ideen des AP und bin bisher kaum fündig geworden. Endlich weiß ich, warum: Weil es offenbar wissenschaftlich gesehen (außer beim Co-Sleeping und der SIDS-Debatte) kaum Gegenargumente gibt. Die schärfsten Kritiker des AP kommen von der ideologischen Seite und hier vor allem vom Feminismus. Ich war zunächst sehr überrascht darüber, denn auch ich habe während meine Politikwissenschaftsstudiums natürlich feministische Schriften gelesen und bearbeitet und hatte eher das Gefühl, dass AP dessen Ziele gerade unterstützt. Ich fühlte mich mit einem getragenen, gestillten, windelfreien Baby viel freier, unabhängiger, weiblicher, gleichwertiger als ich es mit einem „Mainstream-Baby“ gewesen wäre, das mein Nomaden-Ich u.a. ja gezwungen hätte, mit 60 Kilo Reisegepäck umherzuziehen und immer in der Nähe eines Fläschchensterilisators zu bleiben.
Was ich dabei völlig übersehen habe: Feminismus kann auch bedeuten, dass es wichtig für die Frau ist, das Kind möglichst schnell abzugeben. Möglichst schnell abstillen, weggeben und dann wieder kindfrei ins Büro/ins Kino/ins Fitnessstudio können. Und dann ist AP natürlich ein Schuldgefühl-Katalsysator par excellence.
Und genau so liest sich auch die Literatur derer, die dagegen anschreiben. Ob es „Perfect Madness“ ist oder jetzt „Der Konflikt“ – mir fällt vor allem immer wieder auf, dass es in diesen Büchern an wissenschaftlichen Argumenten volkommen fehlt. Badinter wendet sich vehement gegen das Stillen, muss aber doch selbst schreiben: „Die physischen und psychischen Vorteiles für das Baby sind seit Langem bekannt“ (S. 84, deutsche Ausgabe). Sie singt ein Loblied auf die PDA unter der Geburt, weil sie „den extremen Schmerzen während der Geburt ein Ende setzte“ und verhöhnt alle, die sich dagegen wenden – aber sie lässt galant unter den Tisch fallen, welche rein medizinischen Nachteile dieser Eingriff in die Geburt hat. Während sie sonst gerne mit Statistiken und Studien um sich wirft, bleibt sie hier still.
Es geht offenbar nicht um die Frage, was gut ist für die Babys. Diese Frage stellt Badinter kein einziges Mal. Im Gegenteil. Im Kapitel „Die Herrschaft des Babys“ schreibt sie: „Das unschuldige Baby wurde – wenngleich nicht willentlich – zum stärksten Alliierten der männlichen Herrschaft“. Und deshalb müssen wir ihm leider die Dinge entziehen, die es braucht, denn wir dürfen uns als Frauen dieser Herrschaft auf keinen Fall beugen.
Was mich wundert, ist, dass dies eine Argumentation ist, der man genauso unterstellen könnte, dass sie die Frau ebenfalls nur wieder in die Prinzipien der männlichen Welt einpresst, ohne nach ihren Bedürfnissen zu fragen. Stillen ist schlimm, weil es der Karriere schadet – wenn aber Karriere gar nicht das vorrangige Ziel der Frau ist? Co-Sleeping ist schlecht, weil die Frau dann weniger Lust auf Sex hat – was aber, wenn das a) gar nicht unbedingt der Fall ist (sie zitiert keinerlei wissenschaftliche Belege und rein praktisch weiß jeder, dass es neben Betten ja auch Sofas und andere Orte in der Wohnung gibt…) und b) ist das doch wieder die Argumentation, dass die Frau als Ehefrau bitteschön recht bald wieder zur Verfügung zu stehen habe.
„Die Zerbrechlichkeit von Beziehungen und die heutige Bedeutung der Sexualität als Beziehugnsktt werden schweigend übergangen.“ (S. 120). Hier lese ich heraus: Wir sollen die Babys – obwohl es für die Babys eindeutig von Nachteil ist! – frühzeitig abstillen und von ihnen getrennt schlafen (also nachts drei Mal aufstehen, um ein weinendes Baby zu beruhigen!), damit wir bald wieder Lust auf Sex haben und damit sicherstellen, dass uns der Mann nicht abhaut? Ist das Emanzipation?
Mir ist überhaupt nicht klar, was das mit Feminismus und Emanzipation zu tun hat. Könnte mich bitte jemand aufklären?
Auf Seite 122 hingegen schreibt sie selbst, was diese Art von Emanzipation möglicherweise mit den Kindern der vorigen Generation gemacht hat: „Vielleicht muss man darin (in der Kritik der Töchter an den emanzipierten Müttern, Anm. d. Verf.) folgenden Vorwurf hören: Du hast alles für deine Unabhängigkeit geopfert, auch mich. Du hast mir nicht genug Liebe geschenkt, nicht genug Fürsorge und nicht genug Zeit.“ Badinter will damit erklären, wie es überhaupt zu den „Rückschritten“ der aktuellen Entwicklung zurück zu Stillen, Tragen, Familienbett und im ersten oder sogar zweiten Jahr zu Hause bleibenden Müttern kommen konnte: Die Töchter wollen es anders machen. Weil sie – so Badinter selbst! – unter der Emanzipation ihrer Karrieremütter gelitten haben.
Was mich wundert bei der ganzen Debatte: Es geht nie darum, wie man den Konflikt lösen könnte. Es geht nirgends darum, dass bestimmt mehr Mütter ihre Kinder gerne auch früher betreuen lassen würde, wenn es vernünftige Betreuung gäbe. Was ich unter „vernünftig“ verstehe, steht in der nächsten „Unerzogen„. Es bedeutet auf jeden Fall, dass wir nicht einfach nur mehr Krippen- und Kitaplätze brauchen, sondern auch besser ausgebildetes und bezahltes Personal, bessere Betreuungsschlüssel, bessere Konzepte.
Stattdessen schreiben die einen: Die Mutter muss alles aufgeben für ihre Kind. Und die anderen kontern: Die Babys müssen damit klarkommen, dass ihre Mütter lieber Karriere machen. Wo, liebe Welt, ist der Mittelweg? Wo ist unser Konzept für artgerechte Haltung – für Mütter UND Babys?
Danke für den Artikel! Ich hatte in der SZ (Wochenendbeilage vor ca. 3 Wochen) das Interview mit Frau Badinter gelesen und freue mich nun über die Replik.
Und wenn ich schon dabei bin: Vor ein paar Monaten hattest Du mal gefragt, wer wie im Internet unterwegs ist und wie den Blog nutzt: Ich lese tatsächlich nur den Blog (das relativ regelmäßig:-) und bin in meinen sonstigen Gewohnheiten ganz konservativ: kein RSS, Twitter, Facebook & Co. Manchmal denke ich allerdings, dass ich mich mal intensiver damit beschäftigen sollte … und dann fällt es doch hinten runter.
Viele Grüße
von der Teilzeitwindelfrei-Front (jetzt mit Krippenstart allerdings leider viel Plastikwindel)
Kann nur sagen, dass eigentlich alles gesagt ist, was ich auch sagen würde 😉
Gerade das Argument der artgerechten Haltung entspricht mir völlig: nicht unbedingt den Schwerpunkt auf MEHR Kinderbetreuungsplätze sondern auf Plätze wo man Kindern wie Menschen begegnet und die Grundsätze des AP etc. kennt und umsetzt, zuallererst einmal den, dass ein Kind unbedingt aus freien Stücken und gerne eine Beziehung zur betreuuenden Person aufgebaut haben muss, bevor man es ihr überlassen kann ohne selbst anwesend zu sein. Immer noch sooo ein großes Manko im Bewusstsein der Pädagogik. Und dann natürlich, Kinder wie mündige Menschen behandeln. Und dann auf jeden Fall für Kinder und Mütter, die es brauchen, auch Unterstützung über die 3 Jahre hinaus, denn nicht alle Kinder sind gleich, manche trauen sich eben nun mal erst später, ohne Bezugsperson wie Mama oder Papa etc. mit fremden Menschen und in großen Gruppen sich zu bewegen. Auch das Prinzip, dass nicht alle Kinder sich an einem Maßstab messen lassen, ist noch sooo weit weg von allen Verantwortlichen.
Liebe Grüße
Ein interessantes Thema, über das ich mir auch schon ein paar Gedanken gemacht habe…
Ich finde jedenfalls, Emanzipation ist keine Entschuldigung für Egoismus (Ich lege mir ein Kind zu, aber kümmere mich dann nicht darum bzw. will nur die Vorteile nutzen). Außerdem sorgen die Hormone ja nun eigentlich dafür, dass es einem Spaß macht, sich um den eigenen Nachwuchs zu kümmern – wer auf diese Glücksgefühle freiwillig verzichtet, nur weil er sich sonst nicht emanzipiert genug fühlt, dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen… 😉
Ich bin Mutter, ich bin Führungskraft, arbeite Vollzeit
8 Monate zuhause gewesen,
1,5 Jahre gestillt.
Mein Kind schläft in meinem Bett und ist windelfrei aufgewachsen.
Wo ist das Problem der Frau, die diesen Artikel geschrieben hat???
Wenn ich an meine eigene Mutter denke, ist es wohl eher die Angst vor sich selbst und bloß nicht so sein zu wollen wie die eigene Mutter.
Ich bin eine müde gestresste Mutter, aber am meisten glücklich machen mich Momente mit meinem Kind.
Ich bin stolz auf meinen Job und stolz auf mein Kind und stolz auf meinen Mann.
Manche „alte“ Damen merken gar nicht, wie sehr sich die Generationen verändert haben…
Was ist so schlimm daran, wenn ein Kind die eigenen Perspektiven und Bedürfnisse verändert? Wenn die Arbeit und Karriere für eine Zeit lang nicht so wichtig sind?
Ich glaube dass die ganze Polarisierung Arbeit oder Kind daher kommt, dass die Lebenswelten von Erwachsenen und Kindern so sehr getrennt bin und ich sehne mich so sehr nach mehr Orten, wo Erwachsene und Kinder SEIN können und auch arbeiten.
Ich habe das Glück wenigstens ein paar Stunden in der Woche mit meiner Tochter in einem Büro zu arbeiten, während sie ein wenig umräumt oder sich sonstwie beschäftigt. Aber es braucht viel mehr solche Orte.
Warum kann meine Tochter (1,5 Jahre) nicht zu einem Arzttermin mitkommen? Nicht beim Beckenbodentraining/der Gymnastik etc. dabei sein? etc.
Ich bin immer noch auf der Suche nach mehr Möglichkeiten, wie ich arbeiten und dabei mein Kind artgerecht versorgen kann und ich werde Wege finden…
Kurz für die Statistik: alleinerziehende Studentin, 1 Tochter 1,5 Jahre alt, Ganztagskitaplatz, Hausgeburt, 1 Jahr gestillt.
Ich schreibe derzeit meine Magisterarbeit zum Stilldiskurs und finde Frau Badinter ist die erste, die mal was neues sagt. Und ja, wollen wir nicht alle irgendwann Attachment Parents sein? Die ‚guten‘? Ich hätte ein paar Literaturtipps, falls das Plenum hier noch offen und nicht völlig ideologisch abgeriegelt ist. Wie wäre es mit Diane Eyers Mother-Infant-Bonding. A Scientific Fiction. Oder The Mommy Myth von Susan J Douglas oder die Elterparanoia von Frank Furedi. Natürlich hab ich Sears und Sear im Schrank und er ist einer von vielen weißen MÄNNERN, die die Grundlage fürs tolle Attachment Parenting geliefert haben. Von Bonding und anderem Schwachsinn mal ganz abgesehen. Fällt Euch nicht auf, dass all dieser Mist von Männern geschrieben wird? Toll, Herr Sears lässt seine Frau auch zu Wort kommen, die mir ein Rollenbild ohne gleichen ist. Ich freue mich endlich auch wieder was außer unbezahlter Kinderbetreuung machen zu dürfen und ich denke, dass es eine tolle Strategie ist, Frauen auf Jahre aus dem Verkehr zu ziehen. Stillt bis Ihr umfallt und wenn der liebe Ehemann Euch dann nach 10 Jahren betrügt, einfach so, weil ihm danach war, habt Ihr tolle Kinder, die Euch in der Pubertät auch nur hassen, wie alle anderen…..Ihr wart wenigstens Gute Mütter. SO jetzt schlagt mich. Ideologie können wir alle….
Ich frage mich gerade wer hier „ideologisch“ abgeriegelt ist?
Ich weiß nicht, was du für Stress mit (weißen) Männern hattest, aber nur weil meine Frau lange stillt, hab ich keinen Grund sie zu betrügen.
lg Michi N.
Danke, Nicola, für dieses Thema.
Das ist etwas, was mich schon länger beschäftigt. Seit ich deinen Blog lese nun noch viel verstärkter. Ich bin da in einer Zwickmühle, für die ich noch keine Idee zur Lösung habe:
Ich möchte wahnsinnig gern Kinder haben. Nicht eins, sondern mehrere. Ich möchte diesen Kindern eine gute, fürsorgliche, liebevolle, achtsame Mutter sein.
Aber ich möchte auch meine Arbeit machen dürfen. Ich habe einen Job, den ich liebe und in dem es nicht möglich ist, Teilzeit zu arbeiten. Auch Heimarbeit kriege ich selbst mit sehr guter Logistik nur einen Tag pro Woche hin. Und das Kind mitnehmen würde im Notfall sicherlich mal gehen, nicht aber als regelmäßiges Modell. Ich möchte aus diesem Job nicht auf Jahre hinaus aussteigen (und wir könnten uns das finanziell auch gar nicht leisten, da ich die Hauptverdienerin bin und im Vergleich zu anderen angestellten Akademikern trotzdem lausig bezahlt bin). Kurzum: ich WILL arbeiten und ich MUSS arbeiten.
Und ich möchte auch darin meinen Kindern Vorbild sein: als selbstbestimmter Mensch, der Dinge auch deshalb tut, weil sie ihm gut tun. (Ja, dieser Job tut mir gut.)
Klar, ein paar Monate Auszeit (ich denke im Moment an 9) will ich auf jeden Fall nehmen, danach geht mein Mann in Elternzeit und wird das sicherlich ebenso großartig machen wie ich. Aber nach den 14 Monaten?
Welche Betreuung ist dann die beste, um meinem Kind etwas zu bieten, das der mütterlichen Betreuung nahe kommt, wenn es sie schon nicht ersetzen kann?
Und was ist eigentlich – so ganz grundsätzlich – mit den Männern? Die Dikussionen hier im Blog erwecken ein wenig den Eindruck, dass AP vorwiegend ein Frauenprojekt ist. Klar, Frauen stillen. Aber was ist mit Tragen, Abhalten, Erziehen etc? Warum ist hier nur so wenig davon die Rede, welchen Part die Väter dabei übernehmen?
Oder geht AP eben nur, wenn der Mann arbeitet und die Frau Vollzeit das Kind betreut oder bestenfalls freiberuflich im Homeoffice arbeitet?
Fragen über Fragen…
Ich möchte damit ausdrücklich niemanden in seinem persönlichen Lebensmodell angreifen. Sondern vor allem meiner eigenen Unzufriedenheit darüber Ausdruck verleihen, dass es auf so viele Fragen noch keine wirkliche Antwort gibt.